Unser Anliegen ist die Umsetzung und Fortentwicklung geschlechtergerechter Kinder- und Jugendarbeit. Die Mitarbeiter*innen verstehen sich als Ansprechpartner*innen für Mädchen* und junge Frauen* sowie Jungen* und junge Männer*.
Selbstverständnis der Fachstelle geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit
Die Entwicklung einer geschlechtlichen Identität ist eine der großen Aufgaben der menschlichen Entwicklung insbesondere im Kindes- und Jugendalter. Viele Themen im Alltag sind von daher auch geschlechtlich geprägt. Neben Themen wie Sexualität oder beruflicher Orientierung und Lebensplanung sind auch der Umgang mit Konflikten, das Gesundheitsverhalten sowie Freizeitbeschäftigungen durch Geschlechterrollen und damit einhergehende Erwartungen und Anforderungen an jede_n einzelne_n bestimmt bzw. beeinflusst.
Unser Anliegen ist neben der Sensibilisierung für die Kategorie Geschlecht, die Umsetzung und Fortentwicklung sowie Unterstützung geschlechtersensibler Sozialarbeit in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit. Wir arbeiten projektbezogen an und mit Schule, freizeitpädagogisch sowie auf Multiplikator*innenebene mit Fachkräften, Eltern und sonstigen Interessierten.
Was heißt geschlechtersensibel arbeiten?
Es gibt Menschen die behaupten: „Jungs sind eben so!“ und „Mädchen sind eben so!“ Wir glauben, dass alle Menschen Gemeinsamkeiten haben, aber sich auch voneinander unterscheiden und einzigartig sind. Da wir aber alle als weiblich oder männlich von Geburt an wahrgenommen werden, werden uns damit auch immer bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten unterstellt. Die meisten versuchen sich im Laufe ihres Lebens daran anzupassen. Immer mehr können oder wollen das nicht. Geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit sensibilisiert für Zuschreibungen, Einschränkungen und Benachteiligungen ohne die Bedeutung von Geschlecht für die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zu leugnen.
Warum auch (aber nicht ausschließlich) getrennte Angebote für Mädchen* und für Jungen*?
Manche Menschen sagen es gäbe mehr als zwei Geschlechter - das ist richtig! Aber wir wissen, dass es heute keine Entwicklung von Identität (also dem Versuch herauszufinden, wer ich bin) außerhalb von Geschlechtlichkeit - und in unserer Gesellschaft eben auch des Systems der Zweigeschlechtlichkeit - gibt. Mädchen*- und Jungen*arbeit, als Teil geschlechtersensibler Arbeit, leisten seit vielen Jahren einen Beitrag dazu, Kinder und Jugendliche in ihrer Identitätsbildung und -entwicklung zu unterstützen. Um den Druck der Anforderungen und Erwartungen an die „Geschlechterrolle“ ablegen zu können, machen gerade auch Angebote nur für Jungen* und nur für Mädchen* Sinn. Viele Mädchen* und viele Jungen* nutzen diese gern. Die Mädchen*- und Jungen*arbeit leisten aber auch seit vielen Jahren einen Beitrag dazu, Erwachsene dafür zu sensibilisieren, dass Gleichmacherei von Jungen als JUNGEN und Mädchen als MÄDCHEN alle in ihrer Entwicklung beschränkt. Geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit arbeitet nach dem gesetzlichen Anspruch, „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.“
Was bedeutet das Sternchen (*)? Und warum verwenden wir diese Schreibweise?
Das Sternchen (auch Asterisk genannt) soll alle Geschlechter einschließen: Frauen, Männer und darüber hinaus auch Menschen, die sich eindeutiger Geschlechterzuordnungen (jenseits des binären Geschlechtersystems) entziehen oder sich bewusst nicht in derartige "Schubladen" einordnen (lassen) wollen. Diese Schreibweise soll zeigen, dass es sich bei der Bezeichnung von Geschlechtern um soziale Konstruktionen handelt und nicht um eine unveränderliche "biologische" Wahrheit.
Wir verwenden diese Schreibweise, weil wir damit deutlich machen wollen, dass wir über das weibliche und männliche Geschlecht hinaus auch alle weiteren Geschlechter (und geschlechtlichen Selbstzuordnungen) berücksichtigen, mitdenken und ansprechen und niemanden ausgrenzen wollen.
Konzept der Fachstelle geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit
JuMäX Jena e.V.
Die Fachstelle geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit ist historisch gewachsen aus dem ehemaligen Mädchenprojekt Jena e.V., welches 1992 gegründet wurde und seit 1993 anerkannter Träger der Kinder- und Jugendarbeit in Jena ist. Sie gehört heute zum Trägerverein JuMäX Jena e.V., ist Teil der vielfältigen Kinder- und Jugendhilfelandschaft in Jena und mit ihren geschlechtersensiblen Angeboten etabliert.
Selbstverständnis und Grundlagen unserer Arbeit
Wir stehen für eine diskriminierungsarme Gesellschaft, in der sich alle Menschen unabhängig ihres Geschlechts sowie anderer gesellschaftlicher Differenzkategorien wie bspw. sozioökonomischer Status, Herkunft, körperliche und geistige Beeinträchtigungen frei, selbstbestimmt und sicher entfalten können. Geschlechtlichkeit als eine prägende identitätsstiftende Kategorie ist Schwerpunkt unserer Angebote unter Berücksichtigung intersektionaler[1] Dimensionen. Wir verstehen unsere Arbeit als einen Beitrag Diskriminierung aufgrund von Geschlechtlichkeit abzubauen sowie die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in der Gesellschaft voranzubringen.
Inhaltlicher Schwerpunkt der Fachstelle sind Themen der Mädchen*[2]- und Jungen*arbeit wie Gesundheit, Identität, Pubertät, Selbstbestimmung, berufliche Orientierung, Sexualität, Liebe, soziale Medien. Die Mitarbeitenden der Fachstelle kennen die aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Geschlechterthemen und -diskurse und sind Ansprechpersonen in Geschlechterfragen für Kinder und Jugendliche sowie deren Bezugspersonen im schulischen, außerschulischen und familiären Rahmen. Neben theoretischem Fachwissen orientiert sich die Fachstelle mit ihren langjährigen Erfahrungen an den vielfältigen Lebenswelten und -realitäten der Kinder und Jugendlichen vor Ort. Geschlechtersensible Arbeit begründet sich nicht allein im gesellschaftspolitischen und wissenschaftlichen Raum, sondern setzt vor allem bei den Befindlichkeiten, Bedürfnissen, Erfahrungen und Lebensrealitäten der jungen Menschen an. Geschlechtersensibel zu arbeiten, bedeutet für uns beides gleichermaßen im Blick zu haben, geschlechterspezifische Bedürfnisse, Erfahrungen und Zugänge wahrzunehmen und anzuerkennen sowie sensibilisiert zu sein für Zuschreibungen und Beschränkungen aufgrund des Geschlechtes, diese zu reflektieren, Entfaltungsspielräume zu eröffnen und davon ausgehend für die Gleichberechtigung aller Geschlechter einzustehen. Wir arbeiten parteilich im Interesse der Kinder- und Jugendlichen freizeitpädagogisch sowie bildungspolitisch und tragen ihre Anliegen in die Öffentlichkeit.
Wir arbeiten auf Grundlage des Grundgesetzes sowie des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), der UN-Kinderrechtskonvention und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Unser gesellschafts- und bildungspolitischer Auftrag ist die Umsetzung und Fortentwicklung geschlechtersensibler und geschlechtergerechter Kinder- und Jugendarbeit nach §9 Absatz 3 KJHG (SGB VIII) „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern“.
Die Anerkennung von Vielfältigkeit und Multidimensionalität von Geschlechtlichkeit im Sinne identitätsstiftender Selbstbestimmung ist uns ein Anliegen. Das System der Zweigeschlechtlichkeit[3] als strukturell verankerte und gesellschaftlich erfahrbare Realität wird zunehmend hinterfragt und kritisiert. Die Widersprüche in den aktuellen gesellschaftlichen Debatten gilt es in den Angeboten der Fachstelle anzuerkennen, zu reflektieren und zu bearbeiten. Für uns stehen als pädagogischer Schutzauftrag die Rechte auf Bildung, Wissen, Aufklärung, Selbstbestimmung und die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Mittelpunkt.
Unsere Angebote und Ziele
für Kinder und Jugendliche
Die Fachstelle trägt mit ihren Angeboten zur Vielfalt von Bildungs- und Freizeitangeboten in Jena bei.
Ziele in allen Formaten und Angeboten sind:
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die selbstbestimmte Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unabhängig von geschlechtlichen Rollenzuschreibungen und -zuweisungen zu unterstützen und zu fördern sowie daraus resultierende Beschränkungen abzubauen
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junge Menschen zu empowern
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junge Menschen zu unterstützen eine Sprache für die eigenen Bedürfnisse, Gefühle und Grenzen zu finden, diese zu kennen und sich dafür einzusetzen
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Handlungsoptionen und Entfaltungsspielräume zu erweitern
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eine diskriminierungsarme Sprache anzubieten
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ein faires Miteinander zu erfahren
Aktuelle Angebote sind schulische und außerschulische Projekte zu geschlechtsbezogenen Themen. Hier bildet die sexuelle Bildung mit ihren vielfältigsten Inhalten (Pubertät, Verhütung, Grenzen, Selbstbestimmung, Rechtliches…) aufgrund der stetig wachsenden Nachfragen einen Schwerpunkt. Wir nehmen am jährlich stattfindenden „Girls‘- und Boys‘Day – Zukunftstag“ mit einer Aktion teil und bieten Selbstbehauptungskurse, Ferienfahrten und -aktionen sowie thematische Gruppenangebote an. Weitere Veranstaltungsformate sind Jungen*- und Mädchen*tage sowie das Jugendangebot „Deine Reise ins Erwachsenwerden“.
Wir setzen an den Erfahrungshintergründen der jungen Menschen sowie den Bedarfen, die an uns herangetragen werden, an. Wir arbeiten situativ, bedarfs- und prozessorientiert und führen Angebote je nach Themen und Inhalten auch geschlechtergetrennt durch. Wir sind Ansprechpersonen für Kinder und Jugendliche.
für Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen
In der Arbeit mit Bezugspersonen aus Schule und Elternhaus sowie sonstigen Fachkräften in der Kinder- und Jugendarbeit sensibilisiert die Fachstelle geschlechtersensible Kinder- und Jugendarbeit für Zuschreibungen, Einschränkungen und Benachteiligungen, ohne die Bedeutung von Geschlecht für die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen zu übersehen.
Wir sind ansprechbar für Einzelberatungen und Einzelgespräche, Teamschulungen sowie Workshops und bieten regelmäßige fachlich-thematische Arbeitskreise oder auch Fachtagungen zu aktuellen Themen, Diskursen und Herausforderungen in der Sozialen Arbeit (bspw. Jugendgewalt/ Sexualität/ seel. Störungen) mit dem Blick auf geschlechtliche Aspekte an. Darüber hinaus unterstützen wir Teams und Einrichtungen in der Selbstreflektion sowie bei der Erarbeitung einer professionellen Haltung zu Themen der geschlechtersensiblen Arbeit.
Zukünftigen Fachkräften in Ausbildung oder Studium bieten wir die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Praktikums oder auch in Workshops mit der Thematik geschlechtersensibler Kinder- und Jugendarbeit zu beschäftigen und auseinanderzusetzen.
Rahmenbedingungen und Struktur
In der Fachstelle arbeiten 5 festangestellte Personen, die sich 1,5 VbE Mädchen*arbeit und 1 VbE Jungen*arbeit teilen. Die Räumlichkeiten mit einem Büro, einem Veranstaltungsraum, Lagerraum sowie einer Küche und Toilette befinden sich in Lobeda Ost.
Wir sind eng vernetzt mit den Kolleg:innen des Vereins in der Schulsozialarbeit sowie des Abenteuerspielplatzes und in verschiedenen Arbeitskreisen, Vernetzungsrunden und multiprofesionellen Beratungsteams der Kinder- und Jugendarbeit in der Bildungslandschaft Lobeda sowie in ganz Jena aktiv. Darüber hinaus vertreten wir JuMäX Jena e.V. in der LAG Jungen- und Männerarbeit Thüringen e.V., der Bundesarbeitsgemeinschaft Mädchen*politik e.V. sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft Jungen*arbeit e.V. Der Austausch und die Zusammenarbeit in den unterschiedlichen Gremien sind uns wichtig in Bezug auf die Qualitätsentwicklung unserer Angebote, die Selbstreflexion, den fachlichen Austausch und die Perspektiven aus anderen Arbeitsbereichen.
Wir bilden uns regelmäßig fort im Rahmen von Weiterbildungen, Fachtagungen und sonstigen Fachveranstaltungen. In Teamsitzungen, Supervisionen sowie einer jährlichen Klausur werden die Angebote reflektiert und Raum für Selbstreflexion ermöglicht.
Wir dokumentieren alle Projekte und Anfragen und nehmen an einem jährlichen Qualitätsgespräch mit den Verantwortlichen der Stadt Jena teil, um die Arbeit regelmäßig extern zu reflektieren, zu prüfen und unsere Inhalte immer wieder den Bedarfen der Zielgruppen oder auch veränderten Wissensständen anzupassen bzw. anzugleichen.
Jena, im August 2024
[1] Intersektionalität ist ein Konzept verschiedene Ebenen von Benachteiligungen im Blick zu haben und sichtbar zu machen, bspw. soziale Herkunft, Religion, sozioökonomischer Status, Gesundheit usw. Menschen können mehrfach von Diskriminierung betroffen sein.
[2] Wir benutzen den * zum einen, weil die Aufladung geschlechtsbezogener Begriffe mit Rollenvorstellungen und -anforderungen immer im Wandel ist und als Beschreibung nie etwas über das einzelne Individuum aussagen kann. Wir unterstützen damit auch die aktuellen Versuche und Vorschläge Menschen sichtbar zu machen, die sie sich sonst nicht gesehen fühlen, im Wissen, dass auch das sich stets verändert. Sprache formt unser Denken und Handeln. Wie wir miteinander sprechen, hat immer Auswirkungen auf unser Gegenüber. Wofür es keine Worte, Zeichen oder Symbole gibt, das ist gesellschaftlich nicht sichtbar.
[3] Zweigeschlechtlichkeit beinhaltet neben der biologischen Komponente der reproduktionsbedingten Binarität (Eizelle – Samenzelle) auch die daraus resultierende Zuweisung von Charaktereigenschaften, Rollen usw. usf. und ausschließliche Unterscheidung in Junge/ Mädchen bzw. Mann/Frau. Es ist sinnvoll für die Auseinandersetzung mit Geschlechtlichkeit diese beiden Dimensionen voneinander getrennt zu betrachten.